Frankfurt am Main, 6. Mai 2021 - In loser Folge stellen wir Personen aus Irland vor, Künstler, Aktivisten, Arbeiter. Durch ihre Antworten auf drei Fragen ergibt sich ein Einblick in ihr Leben auf der grünen Insel und ihre Beziehung zum Land und zu ihrer Arbeit. Diesmal nimmt Selwyn Johnston (50 Jahre) Stellung, der mit seinen beiden älteren Brüdern Nigel (61) und Gordon (64) in Enniskillen in Nordirland den weltweit einzigen Barber Shop mit Eisenbahnmuseum betreibt, das Headhunter Barber Shop & Railway Museum. Nach der längsten – erzwungenen – Pause in der Geschichte des Geschäfts ist dieser ganz besondere Dienstleister wieder geöffnet.
Man hat ja schon von vielen seltsamen Kombinationen gehört, aber wie kamen Sie auf die Idee, Barber Shop und Eisenbahnmuseum zusammenzubringen? Und wenn die Besucher zu Ihnen kommen, überwiegen die Gäste, die nach einer Rasur noch das Museum ansehen oder ist es eher so, dass die Museumsbesucher dann noch eben auf dem Barbierstuhl Platz nehmen?
Meine Brüder Nigel und Gordon haben 1981 den Headhunters Ladies & Gents Hairdressing Saloon eröffnet und sich bei dem Namen von der Head Street inspieren lassen, an der das Geschäft liegt. Sie hatten zunächst ein afrikanisches Thema mit Tierköpfen, Hörnern, Speeren, Bambus und Leopardenhauttapeten. Die Kunden staunten über die riesigen Tierköpfe, die über jedem Friseurstuhl thronten. Dieses afrikanische Thema blieb 30 Jahre lang, bis 2002 das Eisenbahnthema eher zufällig aufkam. Wir Brüder hatten uns schon immer für das lokale Eisenbahnerbe interessiert. Wir hatten zuvor schon mehrere Ausstellungen von Eisenbahn-Artefakten organisiert und Eisenbahntreffen für ehemalige Mitarbeiter abgehalten. Da aber für die Ausstellung von Eisenbahnartikeln kein dauerhafter Standort verfügbar war, und die Kosten für die Anmietung eines Gebäudes oder die Bezahlung des Personals unerschwinglich waren, musste eine kreative und innovative Lösung her. 2002 hatten Nigel und Gordon beschlossen, sich auf das Kerngeschäft der Herrenfrisuren zu konzentrieren. Auf dem freigewordenen Platz entstand dann eine temporäre Ausstellung von Eisenbahngegenständen, die im Laufe der Jahre schnell wuchs und mittlerweile fünf Räume besetzt. Schnell wurde dieser ungewöhnliche, einzigartige und skurrile Ort eines Eisenbahnmuseums bekannt. Auch wenn es durchaus kritische Stimmen gab, was diese Verbindung angeht, so wurde das Museum dennoch schnell akzeptiert und geachtet. Headhunters Railway Museum ist heute als Friseurladen und Eisenbahnmuseum weltberühmt. Der Eintritt in das Eisenbahnmuseum ist frei und die Besucher müssen sich auch nicht frisieren lassen, auch wenn viele unserer Besucher genau das tun, für sie hat das einen Wallfahrtscharakter. Jeder Tag ist spannend, hierher kommen Familien, die bei der Eisenbahn gearbeitet haben, oder Studenten, die sich mit sozialen Auswirkungen der Eisenbahnschließung im Jahr 1957 befassen – zusätzlich zu den 30 bis 40 Männern, die tatsächlich nur wegen des Haarschnitts kommen. Das Eisenbahnerbe überschreitet Grenzen und Nationalitäten mit Besuchern aus der ganzen Welt. Nach den meisten Museumsstandards sind wir klein, aber die Sammlung und das Ambiente sind einzigartig. Headhunter sind an verschiedenen Gemeinschaftsveranstaltungen beteiligt, die mit einem Eisenbahn- oder Dampfthema verbunden sind.
Gibt es über die räumliche Verbindung hinaus auch eine inhaltliche Verbindung von Barber Shop und Eisenbahnromantik?
Gordon und Nigel haben das Gefühl, dass es in ihrem Geschäft um persönliche Beziehungen geht. Wärme und Freundschaft dominieren bei den Headhuntern und jeder Gast wird buchstäblich mit offenen Armen empfangen. Wir leben vielleicht in einer schnelllebigen Einwegwelt, aber bei uns bekommt jeder Mann und jeder Junge eine traditionelle Erfahrung, die unverändert bleibt und die beruhigend ist – etwas, das man nicht aus dem Internet bekommt. Das Eisenbahn-Thema hat auch dazu beigetragen, Kinder zu beruhigen, die Autismus haben und Angst haben vor dem Friseur, dem Klang der Scheren und dem engen Kontakt mit dem Friseur. Sobald sie aber die eisenbahnbezogenen Ausstellungsstücke und Modelleisenbahnen sehen, werden ihre Ängste gelindert und sie beginnen, Besuche beim Friseur zu genießen. Headhunter ist sicherlich ein Beispiel dafür, wie man kulturelles Erbe in den Alltag transportieren kann. Unsere Stammkunden sind entspannt was Besucher aus aller Welt anbetrifft, wir haben oft spezielle Gäste und Kamerateams wie Gloria Hunniford, Richard Wilson, Adrian Dunbar und Laurence Llewelyn-Bowen und seine Frau Jackie.
Haben der Barber Shop und das angeschlossene Eisenbahnmuseum also neben der reinen Dienstleistung auch eine übergeordnete Bedeutung?
Unser Friseurgeschäft ist ein beliebter Treffpunkt, um Neuigkeiten aus Enniskillen und County Fermanagh auszutauschen. Friseure waren in dieser Hinsicht schon immer so etwas wie ein heiliger Ort und unsere Kunden sind zum Glück sehr loyal, sie genießen die traditionelle Erfahrung. Zum Teil arbeiten wir hier schon mit Kunden der dritten Generation, manche Kunden waren als Kinder schon hier, gingen zum Studieren ans College und kehrten später wieder in ihre Heimat und zu uns zurück. Die Verbindung von Friseur zum Kunden ist besonders, viele sind bereits Freunde geworden. Ein Besuch bei uns bedeutet auch immer ein Stück positive mentale Gesundheit und emotionales Wohlbefinden. Aber auch Frauen, die unser Museum besuchen, sind begeistert, das Innere eines aktiven Herrenfriseurs zu sehen, was für sie oft eine Premiere ist. Sie bemerken oft den erheblichen Preisunterschied zwischen Herren- und Damen-Friseur und vor allem die veränderte Lektüre: statt Urlaubs- & Beauty-Magazine gibt es bei uns Zeitungen und Eisenbahnbücher. Das Headhunters & Railway Museum ist ein Familienerlebnis und das Warten auf einen Haarschnitt ist kein Thema mehr, wenn Sie durch das Museum gehen können, bis Sie an der Reihe sind. Eine der neuesten Ergänzungen ist eine große Modelleisenbahn, die bei Besuchern sehr beliebt ist und Kindheitserinnerungen an die Zeit zurückbringt, als sie ein eigenes Eisenbahnset hatten. Das ganz Besondere für uns ist, dass man nie weiß, wer als nächstes in unseren Shop kommt und aus welchem Teil der Welt derjenige wohl ist.
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