Vom Fischerhafen Rossaveal nehmen wir am 31. Oktober die Fähre nach Inis Mór, der größten der drei kleinen Inseln am Ende der Galway Bay. Hier ist die irische Welt noch am keltischsten. Hier werden immer noch die Aran Sweaters, die Pullover, gestrickt, deren Muster einst zur Identifizierung ertrunkener Fischer diente. Elektrizität erreichte diese „letzten Orte vor Amerika“, wie sie in einer Broschüre bezeichnet werden, erst Mitte der 70er-Jahre. Bis dahin schliefen die drei Inseln fast einen Dornröschenschlaf am westlichen Rande Europas. Viele der irischen Auswanderer stammen von hier und haben einst ihr Fest an Samhain*, so wird Halloween hier genannt, in die neue Welt mitgenommen.
Heute sind die Arans ein attraktiver Anziehungspunkt für Besucher. Hier kann man atemberaubend unberührte Natur genießen, steingraue geologische Seltenheiten beschnuppern und in den prähistorischen Ruinen des Dún Aengus in keltischer Vergangenheit herumklettern.
Die meisten Besucher bleiben normalerweise nur ein paar Stunden, doch lohnt es sich auf jeden Fall ein paar Tage zu bleiben und vielleicht die zwei noch einsameren Nachbarinseln zu besuchen. Wenn die letzte Fähre um fünf Uhr ablegt, hat man die etwa zwölf Kilometer lange und drei Kilometer breite Insel mit den schwarzköpfigen Schafen und den Eseln fast für sich. Es gibt nette Guesthouses und viele freundliche Privatpensionen, gemütliche Cafés und hervorragende Restaurants. Abgeholt wird man unten am kleinen Hafen von Kilronan, wo auch die “handsomes“ auf uns warten, die zweirädrigen Kutschen, die uns über die Insel schaukeln.
Es lohnt sich auf jeden Fall die Aran Inseln außerhalb der Saison zu erkunden. Doch am 31. Oktober wartet ein ganz besonderes Highlight auf uns. In dieser Nacht haben die Wesen einer anderen Dimension hier auf Inis Mór absolute Hochsaison.
Dies ist die Nacht „ Samhain“, in der das alte keltische Jahr zu Ende geht und die Naturgeister wie die „Taibhsí“ und „Púcai“ ihren Wohnort wechseln. Sie befinden sich sozusagen in dieser Nacht auf Tour, wie die Insulaner seit jeher vermuten. Und ziehen von ihrer Sommerresidenz in ihre Winterresidenz um. Wesen der anderen Welt sollen sich in dieser schaurig schönen Nacht mit Wesen aus unserer Welt vermischen, und wo die eine Welt aufhört und die andere anfängt, weiß man in dieser keltischen Silvesternacht nicht so genau.
Auf jeden Fall lassen alle Bewohner der Insel ihre Türen weit auf. Den Wesen den Zugang zum eigenen Heim zu versperren sei nicht ratsam, weiß man hier. Und tatsächlich, als es dunkel wird, stellen sich merkwürdig vermummte Gestalten hinter Masken ein und streifen ohne ein Wort zu sagen, durch die offenen Häuser. Sie dürfen alles: Möbelrücken, in Schubladen stöbern, private Briefe lesen. „Sie dürften auch etwas mitnehmen, aber so weit geht hier niemand“, vertrauen mir die Bewohner von Inis Mór an. Begleiten und beobachten lassen sich die Vermummten nicht auf ihren Streifzügen durch die Häuser.