Von Heinz Bück
Frankfurt am Main, 11.11.2022 – Die N59 zieht sich: von Sligo nach Ballina, dem Zugang ins County Mayo. Und immer weiter nach Westen runter bis Bangor. Dort geht es links ab zur Milchstraße: mit Kurs auf Irlands ersten und einzigen International Dark Sky Park (IDA). Sternenzeit 4. bis 6. November. Es ist 17:24 Uhr. Wir schreiben das Jahr 2022. Es dämmert – gewohnt früh für diese Jahreszeit in Irland. Doch Zeit ist relativ. Erst um 19.oo Uhr ist Eröffnung. Das Mayo Dark Sky Festival ist zurück: live und in allen Farben des Universums. Nach zwei vergessenen Jahren coronabedingter Selbstisolation, nach zwei Veranstaltungsjahren mit Zoom-Sessions ist es wieder da: mit echten fassbaren Menschen wie uns. Mit engagierten Naturfreunden, Umweltschützern und exponierten Wissenschaftlern.
Die Silhouetten von Achill Island werden sichtbar: Slieve Mhor ragt in den abendlichen Horizont, das Land ringsumhin im langwelligen Licht der untergehenden Sonne. Mayo packt einen ohne jede Warnung, sobald man in seine Raumzeit eintaucht. Die westliche und vielleicht einsamste Grafschaft Irlands ist hemmungslos vereinnahmend: ihre großartige Natur, ihre vielgesichtigen herben Landschaften. Und es sind nicht zuletzt, sondern zuallererst die herzlichen Menschen hier, die diesen Mikrokosmos am Rande des europäischen Kontinents auf so sympathische Weise präsentieren und zu dem gemacht haben, was es heute ist: der International Dark Sky Park im Wild Nephin National Park ist eine freundliche touristische Besonderheit bei Tag und Nacht, eine Parallelwelt, in der den Besuchern die Erfahrung präsent gewesen sein wird, dass die Zukunft die Vergangenheit bestimmt und der Nachthimmel keine Grenzen hat.
Der Mai in Mayo ist schön, Herbst und Winter aber sind ein Drama. Strände und Klippen posieren vor grandiosen Himmeln: in finsteren Schattierungen des Grau der atlantischen Regenwolkenungetüme bis zu jenem plötzlichen, makellosen Blau der hyperaktiven Sonnenstunden, die einen – oft vergebens – auf eine klare Nacht hoffen lassen. Dort vor uns, wo tagsüber die Nephin Mountain Range und die endlosen Moore hinter Ballycroy und Mulranny das Landschaftsbild beherrschen, erfasst einen in klaren Nächten – ehrfurchtgebietend und triumphierend – die unfassbare Weite des Universums: unter einer Milchstraße, die sich quer zum nächtlichen Horizont über Achill Island aufspannt. Genau dort wollen wir hin, zum Ballycroy Visitor Centre, denn: „Half the Park is after Dark“.
Die charmante Eröffnung des 2022er Events wird Fiona Hopkins vornehmen, die Vorsitzende des Organisationskomitees, das – neben allen professionellen und freiwilligen Helfern aus den umliegenden Gemeinden und dem Nationalpark selbst – von vier Frauen getragen wird: neben Fiona Hopkins sind es Georgia MacMillan, Carol Loftus und Margaret Flaherty. Die künstlerische Eröffnung untermalt Patrick Dexter am Cello: vom Atlantik inspirierte Sphärenmusik in den eigenen Kompositionen und mit traditionellen irischen Stücken. Wenn die Pandemie uns etwas gelehrt haben könnte, so zumindest dies, dass die vergessenen Kulturschaffenden aus der Gegenwartskunst in die öffentlichen Veranstaltungen gehören: Fiona Gyryson an der Harfe und Berginald Rash an der Oboe bilden das Duo Dathanna und werden das Dinner und die Abschlussveranstaltung mitgestalten. Mayos expandierendes Multiversum würdigt bewusst die großen und kleinen Stars. Neben den Musikern übernimmt die Grafikerin Rae Goddard mit ihren großformatigen Karikaturen grafisch das Protokoll der Veranstaltung.
Es wird ein farbenfrohes, fröhliches und freundliches Wochenende. Das Programm reicht von Themen der Astronomie bis zur Ökologie. Shuttlebusse bringen die Besucher vom Ballycroy Visitor Centre über Mulranny Arts Centre zum Plenum des Newport Hotels. Es sind diese drei Gemeinden und viele ihrer Bewohner, die das „Dark Sky Projekt“ seit 2016 tragen und zum Erfolg geführt haben: dem Gold-Status unter den International Dark Sky Parks dieser Welt. Das County Council Mayo und Faílte Ireland gehören inzwischen zu den festen Unterstützern.
Die Themen der zweitägigen Veranstaltungsreihen waren so vielseitig wie hoch inspirierend. Und die Teilhabe des Publikums ausdrücklich erwünscht, insbesondere die der Kinder. Schließlich sind sie es, die die Ergebnisse und Erkenntnisse der großen Wissenschaft einst fortführen und gegebenenfalls revidieren müssen: „Wem gehört der Mond?“, „Wann war die erste und wann wird die letzte Sonnenfinsternis sein?“ und „Wieviel Sterne hat denn nun das Universum?“.
Die Stars der Astrowissenschaft hatten nicht immer letzte Antworten, sondern eher auch selbst höchst spannende Fragen aufzuwerfen. Derek Demsey legte im Eröffnungsvortrag die Grundlagen für erste Schritte in die Astronomie. Denn man kann sich schnell verlieren und die Orientierung – zumal in einem sich ausdehnenden Kosmos – ist schwer. Mark McCaughrean von der Europäischen Raumfahrt Agentur konnte zumindest die Richtung weisen: Die ESA arbeitet zusammen mit der NASA und internationalen Instituten am James Webb Raumteleskop, das bis in die fernsten Fernen des Universums schaut. Auf der Suche nach den Anfängen neuer Sterne, ferner Galaxien und der Hintergrundstrahlung des Urknalls bringt es atemberaubende Bilder auf die Erde, übrigens den für Menschen, Fauna und Flora nach wie vor einzigen bewohnbaren Ort in der endlosen Raumzeittiefe.
Abseits von übergroßer Hitze und Kälte birgt das All so einige Gefahren, wie Sera Markoff, Professorin für Astrophysik an der Universität Amsterdam, darlegte: die maßlos aneignende Kraft Schwarzer Löcher, welche die sie umgebende Materie, alles Licht und die Zeit selbst verschlingt. Dem Team von Sera Markoff war es 2019 mit dem Event Horizon Telescop erstmals gelungen, Aufnahmen eines solchen Ungetüms zu machen. Doch keine Sorge: viele uns umgebende Schwarze Löcher sind lieb, ja sie dienen uns sogar bei der Satelittennavigation. Erst wenn sie materiell gefüttert werden, entfalten sie ihre maßlos mörderische Gier. Es ist wie im Leben selbst.
Der Schutz des Nachthimmels gilt aber nun einmal mehr dem Leben auf der Erde als dem Studium des Kosmos. Dunkelheit ist für alle Erdenbewohner eine lebenswichtige Notwendigkeit. Sie ist nicht nur für den Menschen gesundheitlich wertvoll, sie ist auch ökologisch bedeutend für die Tierwelt: wie etwa die Jäger der Nacht. Diverse Fledermausarten, darunter die seltene Mückenfledermaus, sind im Nationalpark heimisch. Die Artenvielfalt ist jedoch schon auf dramatische 65 Prozent geschrumpft. Insofern dient die Prävention der Dunkelheit sowohl dem Schutz der Menschen als auch dem der Tierwelt, als Teil des umfassenden Umweltschutzes und nicht zuletzt auch des Klimaschutzes.
Licht ist emittierte Energie. Und Lichtverschmutzung führt wie andere menschengemachte Emissionen zum Verlust der Biodiversität, wie u.a. die Biologin Éanna ní Lamnhna in ihren Vorträgen und auf geführten Touren an der Clew Bay oder im Wild Nephin National Park zu berichten weiß. Die Gemeinde Newport hat daraus selbst Konsequenzen gezogen und ein neues Konzept für die Beleuchtung der kleinen Stadt und ihrer Kirche verabschiedet: es mindert die menschliche Orientierung keineswegs, sondern schützt den Nachthimmel, seine tierischen Bewohner und spart, laut Mayo Counsilor Michael Kilcoyne sind es immerhin 12.000 Euro im Jahr. Angesicht der Energiepreiskrise auch ökonomisch ein willkommener Beitrag.
Die ökologischen Anstrengungen machen sich auf vielerlei Gebiet bezahlt: Michael Chambers, Ranger im Wild Nephin National Park, erzählt es anschaulich auf seinen Touren durch das in Europa und der Welt so einzigartige Moorland rund um die Nephin Mountain Range. Und er wird bestätigt von Colin Guilfoyle, der wie Michael selbst aus der Region stammt. Er hat seine laufende Doktoarbeit der ökologischen Restauration des 150 Quadratkilometer großen Parkareals gewidmet. Insbesondere die Feuchthaltung der Moore ist angesichts des bedrohlichen Klimawandels ein essentielles Anliegen, nicht nur um Irlands ausstehende Klimaziele zu verbessern. Es ist ein globales Anliegen und hochaktuell angesichts des momentanen UN-Klimagipfels COP 27 in Ägypten. Denn die Moore weltweit puffern doppelt so viel CO2 wie der Amazonas-Regenwald – und Irlands Anteil ist immens. Ihre weitere Trockenhaltung – etwa zur traditionellen Verfeuerung oder zur Aufforstung schnell wachsender Industriehölzer – wäre fatal und würde den gespeicherten Kohlenstoff freisetzen. Darum ist der industrielle Abbau inzwischen verboten. Die Moore werden geflutet. Renaturierung der Feuchtmoore ist Irlands verantwortungsvoller Beitrag zur Treibhausgasminderung – 2 Prozent der weltweiten Emissionen.