Frankfurt, November 2020 – In Ihren Büchern befassen Sie sich mit der Geschichte und den Geschichten Irlands. Die grüne Insel ist weltweit bekannt für Ihre Storyteller und hat zudem zahlreiche hochkarätige Literaten hervorgebracht. Was hat bei Ihnen die Passion zuerst geweckt: die Geschichte oder die Literatur? Und wie ist es für Sie in dieser doch gewichtigen Tradition zu stehen und diese fortzuführen?
Ich war schon immer von der Geschichte begeistert. Ich wuchs in einem historischen Haus in der Grafschaft Carlow auf, dessen Wände mit antiken Möbeln und gruseligen Porträts meiner Vorfahren aus dem 18. und 19. Jahrhundert versehen waren. Als Kind wurde ich von historischen Abenteurer-Filmen und biblischen Epen absorbiert. Ich hatte auch einen ausgezeichneten Geschichtslehrer in der Schule, der uns zeigte, wie die Geschichte eines Teils der Welt so oft von dem beeinflusst wurde, was in einem anderen vor sich ging. Alles in allem war ich ein historischer Nerd, als ich ein Teenager war. Die Themen, die ich verfolge, sind in der Regel recht breit gefächert – die Reflexionen älterer Menschen über ihr Leben, große Ereignisse wie der Osteraufstand und der Erste Weltkrieg, Familiengeschichten, irische Pubs, die irische Diaspora – aber ich interessiere mich immer für die Erfahrung der Menschen und wie sie auf die Ereignisse und Umstände reagierten, die sie durchlebten. Mein geheimes Ziel ist es, Menschen für Geschichte zu begeistern, die sich wenig dafür interessieren oder bisher keinen Zugang dazu finden konnten. Ich möchte die Vergangenheit für sie zum Leben erwecken, und ihnen zeigen, dass Geschichte keineswegs eine langweilige Aneinanderreihung von Daten ist. Im Gegenteil: Geschichte hält die spannendsten Handlungen, die größten Wendungen, die reichsten Charaktere und die besten Geschichten bereit – und am liebsten möchte ich Menschen dazu animieren, ihre eigene familiäre Herkunft zu beleuchten und zu ergründen, wie und wo sie in den geschichtlichen Kontext einzuordnen ist.
Die mündliche Überlieferung war früher die wichtigste Quelle für die Geschichte eines Landes. Wie sieht Ihre Arbeit heute aus, verbringen Sie mehr Zeit in Bibliotheken und über Büchern oder beim persönlichen Austausch in Privathäusern oder Pubs?
Die meiste Zeit verbringe ich in meinem fabelhaften Büro, einem Holzschuppen, der in unserem Garten aufgestellt ist mit Blick auf die grünen Hügel der Grafschaft Wicklow. Alles passiert in meinem Posteingang, der manchmal geschäftiger zu sein scheint als der Hamburger Hauptbahnhof, aber hin und wieder denke ich, ich habe es im Griff. Neben einer Reihe von irischen und britischen Zeitungsarchiven, die ich abonniert habe, und aus denen ich einen Großteil meiner Informationen und Daten beziehe, ist es mir wichtig mit Leuten zu korrespondieren, die mehr über das Thema wissen an dem ich gerade arbeite als ich. Und doch gibt es nichts Lohnenderes, als mit jemandem ein altmodisches Gespräch von Angesicht zu Angesicht zu führen. Für die „Vanishing Ireland"-Bücher interviewte ich mehr als 200 Menschen in ihren Häusern und obwohl diese Gespräche nur kurze Zeitabschnitte waren, blieben Sie mir doch nachhaltig im Gedächtnis. Mit über 120.000 Mitgliedern in der Facebook-Gruppe „Vanishing Ireland" sind wir gerade dabei, das Projekt auf eine neue Ebene zu heben.
In Ihren Büchern stellen Sie auch immer wieder Bezug zu Themen und Personen aus dem deutschsprachigen Raum her. Haben Sie eine besondere Verbindung dorthin und was ist Ihre Lieblingsgeschichte aus Deutschland?
Ich war fünfmal in Deutschland. Mein letzter Besuch war ein Vortrag auf Schloss Nymphenburg in München über Lola Montez, die in Sligo geborene Kurtisanin, die das Königreich Bayern beinahe zu Fall gebracht hätte. Ich habe ein Faible für Lola, obwohl sie ein bisschen horror gewesen sein muss, wenn du nicht auf ihrer Seite warst. Neben einem lieben Freund meiner Schwiegermutter, die in Irland lebt, ist mein liebster Deutscher Matthias Buchinger, eine der bekanntesten Persönlichkeiten seiner Generation, ein magisches, musikalisches, künstlerisches Genie, das nur 74 Zentimeter groß war und ohne Hände, Beine oder Oberschenkel geboren wurde. Er war ein meisterhafter Schwertkämpfer und brillanter Magier, aber seine wahre Leidenschaft gehörte der Mikrographie, die Kunst, perfekte, winzige Buchstaben mit Feder und Tinte zu formen. Es ist eine Fähigkeit, die nur sehr wenige Meister-Kalligraphen erreichen, aber Buchinger hat sich so hervorgetan, dass er einem Bericht zufolge "einhundert zu eins Wetten annahm, dass niemand im umliegenden Land zu finden ist, der gleich ist und der mit einer Feder tun kann, was er kann". Das wohl schönste Beispiel ist ein Selbstporträt, in dem sich die winzigen Locken, wenn man sie unter einer Lupe betrachtet, als sieben vollständige Psalmen und das „Vater unser“ herausstellen. Er verbrachte viele Jahre in Irland bevor er 1739 in Cork starb.
Steckbrief:
Turtle Bunbury ist ein Autor, Historiker, Sprecher und Fernsehmoderator aus County Carlow, Irland. Sein neuestes Buch „Ireland‘s Forgotten Past“ war Anfang des Jahres ein Top-10-Bestseller in den irischen Sachbuch-Charts. Sein nächstes Buch "The Irish Diaspora" erscheint im März 2021. Zu seinen weiteren Büchern zählen die preisgekrönte Serie „Vanishing Ireland“, „Easter Dawn (2015)“, „The Glorious Madness – Tales of the Irish & the Great War“ (in der Auswahl zum Buch des Jahres 2014) und „1847 - A Chronicle of Genius, Generosity & Savagery“, die der Oscar-nominierte Regisseur Lenny Abrahamson als "vivid, surprising, hugely entertaining" bezeichnet. Turtle Bunbury betreut auch das Projekt Past Tracks und bringt historische Tafeln an 50 Bahnhöfen in ganz Irland an. Als ehemaliger Gewinner des Long Haul Travel Journalist of the Year Award in Irland wurde seine Arbeit in National Geographic Traveler, The World of Interiors, The Financial Times und Vogue Living veröffentlicht. Er ist mit der Schriftstellerin Ally Bunbury verheiratet, Autor von „The Inheritance and Infidelity“.
Links:
https://vanishingireland.com
www.turtlehistory.com
www.turtlebunbury.com
Kontakt:
Turtle Bunbury – Historiker und Autor
E-Mail: turtlebunbury@gmail.com
Schlagwörter: Charaktere und Persönlichkeiten | Porträt |Geschichte | Literatur |
Foto Credit: Dominic Lee, Priory Studio
(3.11.2020-ot)
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