Von Heinz Bück
Burtonport, County Donegal, 01.01.2023 – Neujahrstag an der Keadue Bay im County Donegal, im Nordwesten Irlands. Bedeckte Bewölkung, trocken. 6 Grad Lufttemperatur, 9 Grad Wassertemperatur. Es ist gegen 13 Uhr mittags und fast windstill, als eine kleine Menschenmenge schwatzend und lachend die Dünen erklimmt und hinabsteigt, um den weiten Mondsichelstrand in Beschlag zu nehmen: Junge und Alte, Kinder und Jugendliche, teils in dicken Daunenjacken, teils in T-Shirts, Badehosen und Latschen. Sie alle haben sich anlässlich des New Years Day Plunge getroffen, das traditionelle jährliche Eintauchen ins sehr kühle Nass.
Nachbarn, Familien, Freunde und Bekannte begrüßen sich ausgiebig. Überall laufen Hunde herum und beschnüffeln die Zwei- und Vierbeiner. Knirpse watscheln Richtung Wasserlinie, gefolgt von aufmerksamen Müttern und Vätern, sprungbereit mit achtsam ausgestreckten Armen, um das Unvermeidliche doch noch zu vermeiden: den ungewollten Plunge. Hier und da werden Kinderwagen geparkt. Bald liegen überall Rucksäcke und pralle Taschen herum, auf denen sich mehr und mehr Jacken und Hosen türmen. Mollige Decken und Handtücher werden ausgepackt. Ein Schluck aus der Nuckelpulle, ein Nipp an der Teetasse.
Blau überwiegt bei den dick wattierten Badeponchos, unter deren knöchellanger Verhüllung Männer und Frauen einbeinig turnen und fummeln und nesteln, um sich diskret umzuziehen und in ihre Badekleidung zu steigen. Die formelle Kleiderordnung löst sich zusehends auf. Grün und Gelb dominieren bei Shorts und Shirts: die Farben Donegals. Badehauben werden verteilt. Deutlich sichtbar teilen sich die Menschen: in entschlossen vermummte Zuschauer und in entschlossen fröstelnde, halb entblößte startbereite Schwimmer. Kein Grund indessen, um nun nicht erst einmal am Ufer für ein Gruppenfoto zu posieren, für einen Schnappschuss der Umstehenden zu posen oder für ein zittriges Selfie mit verkniffenem Lächeln.
Zeit für eine kurze Ansprache muss selbstverständlich auch noch sein. Denn der ganze Spaß findet natürlich nicht bloß zum Spaß statt. Es gibt immer einen Grund für solch organisierte Menschenaufläufe in Irland: Charity. Um deren Anliegen wüsste niemand hier besser Bescheid als die lokale Politikone Pat Galagher oder, wie ihn alle hier rund um Burtonport und Dungloe kennen und nennen: „Pat the Cope Galagher“.
Einst MP für Westdonegal, irischer Staatsminister und Europaabgeordneter ist er – inzwischen in dritter Generation – auch noch stets der repräsentative und allseits bekannte Kopf der Gründerfamilie der lokalen Ein- und Verkaufsgenossenschaft „The Cope“. Die Kollekte hier – so weiß er zu berichten – ist diesmal vorgesehen für Gemma’s Legacy Of Hope Counselling – die psychosoziale Beratung und Spieltherapie. 70.000 Euro fallen da jährlich an Kosten an.
Kurzer Applaus. Dann reihen sich die Schwimmerinnen und Schwimmer am Ufer auf. Ein kurzes Startkommando, anfeuerndes Gejohle unter den Umstehenden, Gekreische unter den Teilnehmern, die in breiter Reihe Seite an Seite – teils in stoischer Ruhe, teils stürmisch bis schnappatmend prustend – in das bitter kalte Wasser des stillen Atlantik steigen. Brrrrrrrrrr.
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