Frankfurt am Main, 2. Februar 2024 – Ja, es sind die Frauen, die in Irland für dieses stets präsente warmherzige Gefühl von Zugehörigkeit und für den ausgeprägten Gemeinschaftssinn stehen. Es sind die gutgelaunten Kassiererinnen in den Supermärkten, die derzeit noch geöffnet haben. Oder die immer freundlichen Polizistinnen am Dublin Port und auf der N5, die die aktuellen Reiserestriktionen überwachen müssen. Es sind in diesen schweren Zeiten aber auch die namenlosen Ärztinnen und Krankenschwestern, die gegenwärtig in den Krankenhäusern dem Virus trotzen: wie die allseits beliebte Mariter Tarugo (60), Healthcare Assistant am St Vincent’s Hospital in Dublin. Am Heiligabend 2020 starb sie selbst an Covid-19. Ihre Kolleginnen und Kollegen standen pandemiekonform Spalier als ihr Sarg zum Friedhof getragen wurde. Denn eine Teilnahme an der Beisetzung war coronabedingt auf den engsten Familienkreis begrenzt.
Es sind auch all jene Frauen, die zu normalen Zeiten in den Tourismusbüros, den Pubs und Restaurants, den Hotels und B&Bs ihre Gäste so herzlich willkommen heißen. Sie sind es, die – in den sogenannten frauentypischen Berufen und Branchen – am meisten von Jobverlust oder Kurzarbeit betroffen sind. Zugleich sind sie es hier wie dort, die zuhause die sozialen Lasten und Spannungen kompensieren, die Zumutungen tragen – und die ihrer Männer gleich mit.
Ja, es waren und sind die irischen Frauen, die das Gefühl für soziale Verantwortung in die modernisierte junge irische Republik getragen haben, es wachhalten und leben. Sie sind es, die immer noch soziale Gerechtigkeit und Bürgerrechte einfordern müssen: gewiss, auch für sich selbst, aber nicht zuletzt für ihre Kinder und Familien und eine bessere Welt. Tagtäglich zahlen sie ungeachtet der Beteuerungen von Gleichberechtigung als Frauen den Preis sozialer Ungerechtigkeit, und zuweilen einen sehr sehr hohen.
Am 26. Juni 1996 hielt ein Motorrad neben einem roten Opel Calibra an einer Ampel auf der zweispurigen Naas Road nahe Newlands Cross in Dublin. Der maskierte Beifahrer zog eine Waffe und feuerte fünf Schüsse auf die Fahrerin des Autos. Sie war auf der Stelle tot. Ihr Name: Veronica Guerin. Familienstand: verheiratet, ein Kind. Beruf: freie Journalistin. Ihr Alter: 38 Jahre. Irland hatte eine der mutigsten Investigativ-Journalistinnen verloren.
Veronica Guerin (*5. Juli 1958 | † 26. Juni 1996) war den Machenschaften der Dubliner Unterwelt und der mafiösen Verbindungen der Drogenkriminalität nachgegangen. 1995 gewann sie den International Press Freedom Award. Schüsse auf ihr Haus ignorierte sie, auch weitere Anschläge, bis sie den mörderischen Schüssen zum Opfer fiel. Während ihrer Beerdigung am 29. Juli 1996 stand das öffentliche Leben für eine Minute still. Der feige Mord wurde niemals völlig aufgeklärt. Doch gelang der Polizei aufgrund von „Ronnie´s“ Recherchen ein Schlag gegen das Kartell der Dubliner Drogenbarone. In „Dubh Linn Gardens“ in Dublin Castle erinnert eine Büste an sie. Im Jahr 2000 wurde „Ronnie“ Guerin vom International Press Institute in die Liste der 50 World Press Freedom Heroes der vergangenen 50 Jahre aufgenommen.
Gut 20 Jahre später veröffentlichte das Forbes-Magazin seine Liste der „30 under 30 in media“. Unter den Namen war 2016 der einer jungen Frau, die wegen ihrer investigativen journalistischen Arbeit gewürdigt wurde: Lyra McKee. Die Journalistin interessierte sich vor allem für die langjährigen Nachwehen der Troubles. Am Gründonnerstag 2019, dem Vortag des Karfreitags, kam es im Stadtteil Creggan in Derry~Londonderry zu Auseinandersetzungen von militanten Aktionisten mit der Polizei. Die 29-jährige Lyra, die am Ort des Geschehens war, wurde von einem Gewalttäter erschossen. Die sogenannte „Neue IRA“ bekannte sich zu der Tat und bedauerte die „versehentliche Tötung“. In ihren letzten Lebenstagen untersuchte McKee, die sich selbst ein „Kind des Waffenstillstandes“ nannte, einige unaufgeklärte Morde, die im Zusammenhang mit dem Nordirland-Konflikt standen.
In Lyra McKee verlor die gesamte Insel auf tragische Weise eine mutige junge Stimme der Aufklärung – verloren auch für die konstruktive Gestaltung einer gerechteren Zukunft. Sie ist nicht zu gestalten, wenn die Vergangenheit nicht bewältigt ist. Das gilt für alle Gesellschaften. Und es sind u.v.a. Journalistinnen, die diesen Kampf um Bürgerrechte und Wahrheit mit der Waffe des Wortes fortsetzen: standhaft und furchtlos. Derweil erprobt Irland – gespeist aus der eigenen historischen Tragik – ein Modell, wie politische Lösungen über Partizipation – moderierend und moderat – gefunden werden können: über „Bürgerräte“ – wie etwa in Fragen der Abtreibung als Wegbereiters der historischen Volksbefragung. Jüngst noch unterrichtete Dr. Nicholas O’Brien, der Botschafter der Republik Irland, die Mitglieder eines Bundestags-Unterausschusses über die irischen Erfahrungen.